21. November 2024

Der Kiezladen zum Mitmachen

Ein kleiner Laden hat es sich zur Aufgabe gemacht, Solidarität in Magdeburg zu fördern.

Nele Drathen

Wer an einem Donnerstagnachmittag das “Tacheles” betritt, könnte meinen, geradewegs in ein süßes Café mit Wohnzimmerflair gelaufen zu sein. Der Boden ist mit Teppichen bedeckt, überall stehen kuschelige Sofas, Sessel, um alte Holztische herum. Das gemütlich warmweiße Licht strahlt aus den unterschiedlichsten Lampenschirmen im Retro- Flair heraus. Dazu gibt es selbstgebackene Kuchen und frischen Kaffee. Aber wagt man sich ein paar Schritte weiter und blickt in den Hinterhof, findet man sich plötzlich inmitten einer kleinen Fahrradwerkstatt wieder. Sollte man dann den Cafébesuch aufs äußerste ausreizen, wandeln sich Kaffee und Kuchen plötzlich zu Büchern und Magazinen und der Laden wird zur Bibliothek

An einem Freitagabend dagegen sieht das alles schon ganz anders aus. Wer hier den kleinen Laden betritt, glaubt wohl eher, in einer Bar gelandet zu sein. Hier ist vielleicht gerade ein Konzert im Gange, ein Poetry-Slam, eine Filmvorführung, ein Spieleabend, ein Pub-Quiz oder eine Karaoke Party. Dazu gibt es eine Auswahl an alkoholischen und nichtalkoholischen Getränken aus der Kühlung.

Das sind nur einige Beispiele von dem, was sich in der Sternstraße 30 so alles abspielt. Aber was genau ist das »Tacheles« eigentlich?
“Tacheles” heißt seit Anfang 2021 der Raum, den viele Magdeburger und Menschen, die schon ein paar Jahre hier wohnen, wahrscheinlich noch als das “Café Central” kennen. Was früher tatsächlich Café und Bar war, gehört jetzt einem gemeinnützigen Verein namens Platz*machen und wurde zu einem Ort der Vernetzung.

 

DER RAUM – DAS MULTITALENT
Die Idee, die hinter dem Projekt steckt, ist es, den Menschen in Magdeburg einen Ort in der Stadt zu bieten, an dem sie sich begegnen, vernetzen und gegenseitig unterstützen können. Der Verein möchte sich durch dieses Projekt für eine solidarische Gesellschaft einsetzen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Dafür gibt es regelmäßig neben dem Barbetrieb Angebote in den Bereichen stadtgestalterische Mitbestimmung, politische Bildung, soziale Beratung, aber auch Kunst und Kultur. Ein besonderes Augenmerk des Projektes liegt darin, sich dafür einzusetzen, die Selbstbestimmung und Teilhabemöglichkeit von Individuen zu fördern. Gerade aber für diejenigen Menschen, die sich ihren Platz und ihre Mitbestimmung im öffentlichen Raum meist erkämpfen müssen, weil sie von Diskriminierung und struktureller Benachteiligung betroffen sind. Durch das Tacheles bietet sich ihnen die Möglichkeit, sich den Raum anzueignen und sich dort für die Umsetzung ihrer Interessen zu organisieren. Denn was diesen Raum besonders macht, ist, dass er nicht nur ein Begegnungsort ist, sondern vor allem ein Raum der Mit-Gestaltung. Der Verein bietet über das Tacheles die Möglichkeit an, sich mit seinen eigenen Ideen einzubringen. Ob eigene Veranstaltung, Projekt oder einfach nur als ehrenamtliche Unterstützung, alles in und um das Tacheles ruft dabei zum Mitmachen auf. Ganz nach dem Motto gib so viel wie du geben willst und kannst. »Der Kiezladen soll ein Ort sein, an dem wir Solidarität praktisch erfahren und im öffentlichen Raum sichtbar machen können.« heißt es auf der Internetseite des Vereins. Damit das auch möglich ist und keine ökonomischen Grenzen Menschen davon abhalten den Raum zu nutzen, vertritt der Laden ein unkommerzielles Konzept. Finanziert wird das Projekt durch Spenden und Förderanträge plus einige Einnahmen an der Bar. 

 

DIE MENSCHEN HINTER DER KULISSE
Den Verein Platz*machen e.V. wurde im Juni 2020 gegründet und sieht sich selbst als Zusammenschluss von gleichgesinnten und engagierten Menschen, die sich für eine offene und tolerante Gesellschaft einsetzen. Gegründet hat sich der Verein mit der Idee, den Hasselbachplatz und seinen Ruf aktiv mitgestalten zu wollen und ihn durch Engagement zu einem Ort der Solidarität zu machen. Der Verein möchte zusammen mit anderen gleichgesinnten Akteuren gesellschaftlichen Wandel bewirken, um auch den Hasselbachplatz zu einem Ort zu machen, an dem man sich wohlfühlen kann. Die Basis des Vereins und des gemeinsamen Miteinanders bildet das eigens verfasste Selbstverständnis. Auf diesem Selbstverständnis bauen alle Veranstaltungen, Projekte und Handlungsweisen des Vereins auf. Gleichzeitig ist es für Außenstehende eine gute Möglichkeit für sich selbst zu entscheiden, ob sie sich damit identifizieren und an den Angeboten teilhaben wollen. In diesem Selbstverständnis distanzieren sich die Mitglieder von jeder Form der Diskriminierung. Stattdessen setzen sie sich für ein solidarisches Miteinander ein. Dafür wird darauf geachtet, dass vor allem die Bereiche Antirassismus, FLINTA* Empowerment, Klimagerechtigkeit und Demokratieförderung in Bildungsangebote und Veranstaltungen ihren Raum bekommen.

 

DAS HERZ DES TACHELES 

Die Projekte machen das Angebot des Kiezladens aus. Sie geben Menschen die Möglichkeit, sich einzubringen. Dazu kann man sich einem bereits bestehenden Projekt anschließen oder auch ein neues Projekt auf die Beine stellen und das Tacheles als Ort der Realisation nutzen. Die Projekte müssen sich dabei dem Selbstverständnis verpflichtet, sind sonst aber vollkommen autonom in ihren Entscheidungen.

Platz und Kuchen:
Jeden Donnerstag öffnet das Tacheles von 15 bis 17 Uhr seine Türen und lädt zu selbstgebackenen veganen Kuchen, Kaffee und Tee ein. Alle Leckereien gibt es dabei gegen Spenden und einen Raum zum gemütlichen Beisammensein und kennenlernen gibt es kostenlos obendrauf.

paRADies:
Heißt die kostenlose Fahrradselbsthilfewerkstatt im Hinterhof des Tacheles. Wer ein Problem mit dem Fahrrad hat, kann hier donnerstags von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr  unter Anleitung dieses lösen. Material für die gängigsten Beschwerden sind vor Ort und können meist direkt gelöst werden und falls es mal länger dauert oder ein Ersatzteil noch besorgt werden muss, kann einfach in der nächsten Woche zum weiterschrauben vorbeikommen. Außerdem nehmen die engagierten Reparateure auch gerne alte Fahrräder als Spenden an, um sie zu reparieren und zu verschenken.

Zusammengebunden:
Ist ein Kollektiv von Einzelpersonen, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Zugang zu vielfältiger und kritischer Literatur im Vergleich zu herkömmlichen Buchhandlungen oder Bibliotheken zu verbessern. Die Bücher werden gegen Spende oder zur Ausleihe zur Verfügung gestellt. Dabei handelt es sich um Bücher, die sonst nur schwer zu finden sind. Damit sind Bücher gemeint wie beispielsweise:  progressive Kinderbücher, Bücher von nicht-weißen Menschen, feministische Romane und viele weitere. Es geht dabei aber nicht nur darum, die Bücher zugänglich zu machen, sondern auch einen geschützten Raum zu bieten, sich mit den behandelten Themen auseinanderzusetzen. Die Bibliothek ist jeden Donnerstag von 17 bis 19 Uhr geöffnet. Dann sind Menschen aus dem Kollektiv in Tacheles, um die Bücher auszuleihen. An allen anderen Tagen kann man sich die Bibliothek und die momentanen Bücher der Ausleihe anschauen.

 

Offener Raum:
Immer wieder freitagabends ist das Tacheles für unterschiedlichste Veranstaltungen geöffnet. Ob für Musik, Kunst, Kultur, Spiel oder einfach nur zum Verweilen. Das Tacheles lädt ein, sich bei gute Stimmung zusammenzufinden. Dabei ist die Bar geöffnet an der man alkoholfreie und alkoholische Getränke zu Soli preisen, bekommt. An diesen Abenden stehen ehrenamtliche Mitglieder des Vereins für Gäste als RaumbetreuerInnen zur Verfügung. Sie haben alle ein Sensibilisierungstraining absolviert und sind Ansprechpartnerinnen bei Problemen oder wenn sich jemand in dem Raum nicht mehr wohlfühlen sollte.

Nachbarschaftsbrunch:
Immer am ersten Sonntag des Monats organisiert Platz*machen einen Mitbring-Brunch von 11 bis 14 Uhr. Dieser Brunch soll die Möglichkeit schaffen, sich in der Nachbarschaft besser kennenzulernen und auch über eventuelle Anliegen in den Austausch zu kommen. Alle bringen etwas mit, alles wird gemeinsam geteilt.

Mediation im Kiez:
Bei “Mediation im Kiez” haben Menschen die Möglichkeit, sich von professionell ausgebildete Mediator:innen bei der Lösung von Konflikten helfen zu lassen. Hierbei handelt es sich ebenfalls um ein ehrenamtliches und richtet sich an alle, ob Familien, Privatpersonen, Gruppen oder Vereine, die eine kommerzielle Mediation aus Kostengründen nicht wahrnehmen können. Es gibt eine telefonische Sprechstunde immer dienstags von 17 bis 19 Uhr unter 0157 / 510 962 54 über die eine Mediation vereinbart werden kann.

Küfa:
Jeden Samstag von 16 bis 18.30 Uhr gibt es im Tacheles selbstgemachtes veganes Essen für alle, die vorbeikommen. Das Essen ist kostenlos und wird ohne Vorlage von Berechtigungsscheinen oder anderen Nachfragen ausgegeben. Das Ziel ist, die Menschen am und um den Hasselbachplatz mit einer warmen Mahlzeit zu versorgen. 

 

Da das Tacheles und alle darin angebotenen Veranstaltungen nur durch die Arbeit von Ehrenamtlichen zustanden, kommt, stehen die Türen auch immer für neue Menschen offen, die sich engagieren wollen. Geht einfach vorbei und sprecht jemanden dort an. Ein Besuch lässt sich auf jeden Fall immer empfehlen, denn auch abgesehen von den hier angegebenen Angeboten findet sich auf der Internetseite und auf Insta ein Kalender mit allen Veranstaltungen, bei denen es sich lohnt, vorbeizuschauen. 

 

Zu finden ist das Tacheles und der Verein über

Web: https://platzmachen.org/

Insta: https://www.instagram.com/platz.machen/ 

 

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